„Die Medien von Erika Kassnel-Henneberg sind Collage, Fotografie und Video. Die Inhalte ihrer Arbeiten kreisen um eigene wie gefundene Erinnerungen und deren künstlerische Reflexion. Im Mittelpunkt ihres Interesses steht stets der Mensch mit seiner subjektiven Wahrnehmung und seiner Fähigkeit sich zu erinnern, zu vergessen, zu assoziieren und bewusst oder unbewusst seine je eigene Utopie zu erschaffen. Dabei charakterisiert die Künstlerin das Vergessen als eine Fähigkeit, nicht als Manko. Diesen ihr eigenen Ansatz bettet sie zugleich in eine erweiterte, existenzielle Fragestellung ein. „Heute wissen wir, dass Erinnerung weder wahr, noch objektiv, noch vollständig ist. Wir legen Spuren, sammeln Dokumente und Fotografien, und archivieren diese. Ich sehe darin einen existenziellen Zweifel: Wer bin ich wirklich, wenn ich meinem und dem Gedächtnis anderer nicht trauen kann? Wenn ich keine Spuren hinterlasse, habe ich dann jemals existiert?“
Schon in ihren früheren Collagearbeiten, die von hoher ästhetischer Qualität sind, und von sensiblem Umgang mit den verwendeten Materialien zeugen, spiegelt sich die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wieder. Als Betrachtende finden wir in diesen aus Zeichnung, Frottage, diversen Papieren, Fotos und Wachs zusammengefügten künstlerischen Bildern immer wieder ein grundsätzliches Nachdenken über das Wesen von Erinnerung. Dies zeigt sich auch in den Polaroids der Künstlerin, die eine konzentrierte, eigene Werkgruppe darstellen. Technische Beobachtungen (z.B. des „Rauschens“ als einer physikalischen Größe) schlagen sich hier in eigenen ästhetischen Entwürfen nieder: „Die Polaroidkamera macht Erinnerung sichtbar. Sie hat einen subjektiven und fehlerhaften Blick auf die Welt. In ihr rauscht die Gegenwart und hinterlässt einen vagen Blick auf Vergangenes“. Diesen finden wir auch in den experimentellen Videoarbeiten, die bei aller technischen Raffinesse manchmal fast wie bewegte, verblichene Bilder aus einem Familienalbum vergangener Tage wirken. All das zusammen ergibt einen homogenen künstlerischen Gesamtentwurf, der mit dem äußerst gewissenhaft aufgebauten CV in der Bewerbungsschrift der Künstlerin überzeugend in Einklang steht.“
Auszug aus der Begründung der Jury zur Kunstpreisverleihung 2022 am 26.09.2022